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Wochenendseminar „Unsere besondere Familie“ in Hagen

Morgen wird unsere Fünfjähre ihr erstes Cochlea-Implantat bekommen. Der Abend ist tropisch warm und mein Mann und ich können nicht schlafen. Wir denken an das intensive Familienwochenende Anfang Mai in Hagen zurück. Wir schauen uns an und fragen uns: Wo wären wir ohne diesen Austausch heute? An welchem Punkt stünde unsere Tochter jetzt? Wie hätten wir uns wichtige Informationen zusammengesucht?

Rückblick. Vom 06. bis 08. Mai trafen sich in Hagen acht Familien mit ihren Kindern, hörgeschädigte Kinder mit CI oder Hörgeräten und ihre normal hörenden Geschwister. Das Thema des Workshops: Unsere besondere Familie - Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten. Auch wir hatten uns angemeldet, denn seit dem letzten Hörtest war klar, dass bei unserer Tochter rechts (trotz Hörgerät) nichts mehr ankommt.

Was uns bei der Ankunft sofort auffiel: Alle teilnehmenden Familien waren sehr offen. Einige waren zum ersten Mal dabei, andere kannten sich schon von früheren Veranstaltungen des CIV NRW. Die Atmosphäre war herzlich, die Kinder durchmischten sich gleich. Kein Wunder, die Jugendherberge liegt an einem Hang, mit einem weitläufigen Gelände und sogar einem eigenen kleinen Waldstück: ein Traum für Entdecker. Auch die außerordentlich nette und engagierte Kinderbetreuung nahm direkt Kontakt zu den Kindern auf. Sie kümmerten sich das ganze Wochenende um die Kids, sodass wir Eltern uns ganz auf den Workshop konzentrieren konnten.

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© Christoph Dietzschold

Im Mittelpunkt des Seminars, das sich an Eltern jüngerer Kinder (Kindergarten/Vorschule) richtet, standen die Fragen: Diagnoseschock und wie weiter? Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir? Was brauchen wir jetzt und morgen? Wer will was für unser Kind? Im Morgen des ersten Tages lernten wir die beiden Dozenten Dr. Karen Jahn (Dipl. Psychologin und selbst hörbeeinträchtigt) und Peter Dieler (Audiotherapeut und ebenfalls hörgeschädigt) kennen. Es stellte sich sofort heraus, sie sind absoluten Experten auf ihrem Gebiet. Sie verstehen es, eine Gruppe unbekannter Menschen zusammenzuführen, zu inspirieren und jedem Teilnehmer den Raum zu geben, den er braucht. Dr. Karen Jahn und Peter Dieler haben die Kombination aus „verständnisvoll“ und „ermutigend“, die man sich von so manchem Mediziner wünscht.

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Auch die Gruppe der teilnehmenden Eltern entwickelte schnell eine Dynamik, sodass Punkte der Agenda nicht oder später angesprochen wurden. Zugunsten von Fragen, die uns aktuell unter den Nägeln brannten. Zugunsten von Erfahrungsberichten aus erster Hand und eines persönlichen Austauschs, den man selten bekommt. Denn wir alle hatten etwas gemeinsam. Es war nicht nötig, unsere besondere Familiensituation zu erklären. Man fühlte sich sofort verstanden. Ein gutes Gefühl, das mein Mann und ich noch bis heute empfinden, wenn wir an das Wochenende in Hagen denken.

In der großen Runde oder in Kleingruppen entwickelten wir Gedanken, stellten Fragen oder tauschten Tipps und Erfahrungen aus. Auch am Abend, wenn die ausgepowerten Kids schliefen, gingen die Gespräche im Foyer der Jugendherberge weiter. Wir Eltern redeten viel über unsere Kinder – aber nicht nur.

Am letzten Tag des Seminars wurde es sehr emotional. Emotionaler als wir uns das hätten ausdenken können. Denn Dr. Karen Jahn und Peter Dieler schaffen es zu jeder Zeit, den Blick auf die unglaublichen Stärken unserer Kinder zu lenken. Während die besagten Kinder draußen spielten, las jede Familie die zuvor (als Hausaufgabe) formulierten Stärken ihres Kindes vor. Es war mucksmäuschenstill im Raum. Denn überraschenderweise hatten die Herzensbotschaften der Eltern an ihre Kinder nur recht wenig mit Hören zu tun. Denn auch das brauchen wir nicht zu erklären: Unsere Kinder sind so unglaublich viel mehr als schwerhörig.

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Zurück zum Vorabend der Implantation unserer Tochter. Sie schläft ruhig und voller Urvertrauen vor dem morgigen Eingriff in ihrem Bett. Durch das Eltern-Kind-Wochenende in Hagen ist sie (und ihr großer Bruder) intensiv mit CI-Kids in Kontakt gekommen. Unsere Tochter durfte CIs anfassen und die tollen Designs bewundern. Nicht unwichtig für eine Fünfjährige! Nach diesem Wochenende war die für uns so bange Frage „Wie können wir unsere Tochter für diese Veränderung gewinnen?“ kein Thema mehr. Sie ist bereit, diesen Weg zu gehen. Sie will auch die Chance haben, besser zu verstehen. Und sie will CIs. Am liebsten in rosa und auch gern mit Einhörnern drauf!

Hinweise:

Autor: Christine und Sergio Alvarez

Bilder: Christoph Dietzschold

Dieser Artikel ist ebenfalls in der "CIV-NEWS" Printausgabe erschienen.